Die „Tour de France“ feiert 2013 ihr großes Jubiläum. Auf Korsica startet am 29. Juni die 100. Rundfahrt – und sie wird zwei Wochen später der Provence eine besondere Ehre erweisen: Am französischen Nationalfeiertag endet die Etappe mit einer Bergankunft auf dem Mont Ventoux!
Mont Ventoux, "der windumtoste". Heiliger Berg der Kelten. Oder "Le Géant de la Provence", wie er auch genannt wird. Einsam und weithin sichtbar beherrscht sein Gipfel die Landschaft.
Foto: © Castel Franc (Vergrößerung durch "klick in")
Auf der Südseite (von Bedoin) beginnt der letzte Kilometer des Weges zu seinem 1912 Meter hohen weißen "Sommet" – am "Col des Tempêtes". Wenn der Mistral weht, erreicht er ohne weiteres über 100 km/h. Dann macht der "Sattel der Stürme" seinem Namen alle Ehre.
Foto: von Vi..Cult.../Wikimedia-Commons
Der Col bietet einen grandiosen Ausblick über die Seealpen. Die Fahrer der "Tour de France" werden das herrliche Panorama aber kaum genießen können, wenn sie sich am 14. Juli an diesen Punkt vorbei quälen, auf dem Weg zur Bergankunft... Dafür ist die Straße dann sicher von unzähligen Fans gesäumt. Sie kommen, um alle Radsportler anzufeuern, die sich ihre Gefechte auf dem Weg zum Etappensieg liefern. So wie hier; Erik Zabel (mit Christophe Mengin) und Stuart O'Grady, auf dem Ventoux bei der "Tour" 2002:
Foto: Christopher Voitus/ Wikimedia Commons
Von solchen Kämpfen lebt der Mythos der "Tour der Leiden", deren Geschichte vor 100 Jahren begann.
Geschichte der "Tour de France"
Es war 1903:
Noch benutzten fast alle Franzosen das Fahrrad als Transportmittel, ihre Sportzeitung war "Le Velo". Deren Redakteur, Henri Desgrange, hatte eine andere Vision und sich deshalb kurz zuvor von dem Blatt getrennt. Jetzt brachte er unter dem Titel "L' Auto" sein eigenes Magazin heraus – um dessen Auflage er sich Sorgen machte.
So entstand die Idee, ein spektakuläres Radrennen zu organisieren. Als echtes Etappenrennen, quer durch Frankreich. Mehrere Wochen über große Distanzen, deren Zeiten am Ende addiert würden. Darüber wollte Desgrange in seiner neuen Zeitung berichten, um auch die Leser von "Le Velo" an sie zu binden.
Angekündigt wurde ihnen „La plus grande épreuve cycliste jamais organisée“, also: "der größte Wettkampf für Radfahrer, der jemals ausgetragen wurde"!
19 Tage sollte der Wettkampf dauern und durch ganz Frankreich führen, wirklich die
"Tour de France". Mit 2.428 Kilometern wäre er für die Fahrer eine ungeheure Strapaze, oft führte der Weg über unbefestigte Pisten. Ein Preisgeld von 20.000 Francs wurde ausgesetzt, bei einem Tagegeld von 5 Francs für jeden Fahrer – solange er im Rennen war... Dazu kamen am 01. Juli 1903 insgesamt 60 Fahrer zusammen. Sie wollten alle den (damals) enormen Betrag von 3.000 Francs gewinnen, den es für den Sieger der Tour gab. So startete man vor dem "Café au Reveil Matin" in Montgeron, nahe Paris. Gefahren wurden in den 19 Tagen nur 6 (!) Etappen, die es jedoch unter jedem Gesichtspunkt in sich hatten:
Durchschnittlich 400 Kilometer (sie
mussten stets in einem Stück zurück
gelegt werden). Gleich am ersten
Tag ging die "Tour" also bis Lyon.
Heute schafft der TGV die Fahrt in
zwei Stunden, damals benötigte (der
spätere Gesamtsieger) Maurice Garin
dafür 17 Stunden und 45 Minuten!
Mit dem Fahrrad ist es dennoch eine
höchst erstaunliche Leistung; bei der
Strecke von 467 Kilometern...
Die längste Etappe betrug sogar 471
Kilometer: Nantes - Paris.
Karte der "Tour de France" von 1903: Wikipedia
Dabei war die Streckenlänge der ersten Tour de France mit 2.400 Kilometern kaum bemerkenswert. Die längste „Tour“ wurde 1926 gefahren, über 5.745 Kilometer! Es waren entweder Besessene oder Glücksritter und Hasardeure, die damals zu den ersten Rundfahrten durch Frankreich starteten. Und der "Tour" bald den Beinamen „Karawane der Leiden“ gaben.
Moderne Technik stand den Fahrern nicht zur Verfügung. Es gab keine Carbonräder – nicht einmal eine Gangschaltung. Die Kettenschaltung für Fahrräder wurde erst 1930 erfunden; bis sie bei der "Tour" zugelassen war, brauchte es weitere 4 Jahre.
Welchen Belastungen die Fahrer damals ausgesetzt waren, zeigt sich auch an den Durchschnittsgeschwindigkeiten:
Bei der ersten „Tour“ waren es noch 25 km/h. Über 30 km/h konnten erstmals 1934 erreicht werden (als Folge der Gangschaltung). 1956 wurde die Grenze von 35 km/h durchbrochen, 1999 schaffte Lance Armstrong dann einen Schnitt von 40 km/h.
Die "Tour de France" und der Mont Ventoux
Unter die Räder der "Tour der France" genommen wurde der Mont Ventoux erstmals 1951. Inzwischen gilt der Gigant der Provence als einer ihrer vier „heiligen Berge“ (neben dem Col du Tourmalet in den Pyrenäen, dem Col du Galibier in den Alpen und der berühmten Bergankunft in Alpe d'Huez).
Jedenfalls bei einer solchen Bergankunft gibt es hier einige Besonderheiten, die den Ventoux wahrscheinlich zum schwierigsten Gipfel der gesamten "Tour" machen:
Auf der Südseite gestattet seine Steigung, bereits kurz hinter Bedoin, keinen Meter des Weges mehr zum Ausruhen. Wie dieses Profil zeigt, sind es immer zwischen 6% und 9%; die letzten Kilometer vor dem Gipfel geht es dann sogar 10% hinauf:
Steigerungsprofil der Südseite des Mt. Ventoux: Stefan Brunker/ wikimedia
Außerdem herrschen bei Mistral extreme Windverhältnisse auf dem Ventoux – oder es wird im Sommer in der weißen Geröllwüste unterhalb seines Gipfels sehr heiß. Zudem gibt es direkt vor dem "Sommet" noch eine wirklich fiese Kurve, die in ihrem Scheitelpunkt steil ansteigt und die Fahrer gehörig aus dem Tritt bringt. Wer hier nicht die Nase vorne hat, kann keinen Schlußsprint gewinnen.
Zufällig gewinnt ein Rennen auf den Mont Ventoux ohnehin niemand. Entweder ist präzise Teamarbeit erfoderlich, um den Etappensieg zu erringen, oder ein Ausreißer erwischt genau den richtigen Moment. Und fährt dem Peleton so rechtzeitig davon, dass er bis zum Gipfel nicht mehr eingeholt wird. Davon kann Lance Armstrong ein Lied singen: Ihm war diese Etappe zur Bergankunft 2009 vermeintlich auf den Leib geschneidert, als er wieder in die "Tour" einstieg. Er galt also als der große Favorit am Mont Ventoux; die Bergankunft konnte jedoch Juan Manuel Garate (als tapferer Ausreißer) gewinnen.
Geschichte geschrieben hat der Mont Ventoux leider auch bin anderer Hinsicht:
1967 gab es hier im Zusammenhang mit Dopingden ersten offiziellen Todesfall der „Tour des France“. Der englische Radrennfahrer Tom Simpson, 1965 Gewinner der Straßenrad-Weltmeisterschaft, kollabierte am 13.07.1967, nur einen Kilometer unterhalb des Gipfels. Er stürzte vom Rad, bemühte sich noch einmal darauf, und brach wenige Augenblicke später erneut zusammen – nun mit einem Herzstillstand. Trotz sofortiger Wiederbelebungsmaßnahmen verstarb Simpson am Straßenrand. Seine letzten Worte, legendär: „bring me back on my fu..... bike!“
Die Stelle, an der Tom Simpson traurige Berühmtheit erlangt hat, markiert heute ein Gedenkstein. Viele Radler, die den Mont Ventoux bezwingen, lassen hier zur Erinnerung etwas zurück; meist eine ihrer Trinkflaschen.
Ursächlich für Simpsons Zusammenbruch war eine Mischung aus Amphetaminen und Alkohol, seine offizielle Todesursache lautete aber: Dehydration. Schon 1965 hatte Simpson gegenüber einer Zeitung zugegeben zu dopen – damals regte diese Mitteilung niemanden auf. Im Jahr nach seinem Tod wurden dann Dopingkontrollen während der Tour zur ständigen Einrichtung gemacht.
Die "Tour de France" 2013 am Mont Ventoux
Dem Nationalfeiertag am 14. Juli 2013 fiebert die ganze Provence entgegen. Denn die 15. Etappe der „Tour“ endet ausgerechnet dann mit einer Zielankunft auf dem mythischen Mont Ventoux; eine ganz besondere Ehre...
Für die beteiligten Équipes wird diese Etappe eine der absolut anspruchsvollsten Strecken werden. Nebenbei ist sie nämlich, mit 242 km, das längste Teilstück der Jubiläumsfahrt. Eine so lange Etappe auf den Giganten der Provence hat es noch nie gegeben. Hier ist perfektes Teamwork gefragt, um dann auf seinem Gipfel triumphieren zu können!
Die Etappe startet am 14.07.2013 um 08:45 Uhr in Givors. Sie führt zunächst knapp 200 Kilometer durch die Départémens Isère und Drôme. Das Département Vaucluse wird die "Tour" dann (gegen 14:00 Uhr) in Vaison-la-Romaine erreichen.
Den genauen Zeit- und Streckenplan können Sie hier einsehen, durch einen Direktlink zu "letour.fr"
Von Vaison-la-Romaine geht es über Crestet nach Malaucène, an den Fuß des Mont Ventoux. Über den „Col de la Madeleine“ erreicht das Fahrerfeld dann Bedoin – und dort beginnt für das Peloton der Aufstieg zum Gipfel des „Windumtosten“; über die klassische Südseite.
Dann wären es nur noch wenig über 20 Kilometer bis zum Ziel des Tages; hier wird sich jedoch die Spreu vom Weizen der „Tour“ trennen. Und mit Sicherheit bringt der Anstieg zum Gipfel den ersten großen Showdown der Favoriten mit sich!
Für die Fahrer der „Tour“ beginnen die ersten 5 Kilometer hinter Bedoin zwar recht
gemächlich, entlang der Weinberge. Dann wird
es allerdings unangenehm – denn jetzt beginnt
der Aufstieg; über fast 10 Kilometer beträgt die
mittlere Steigung 9%! Immer nur bergauf. Es
gibt keinen einzigen Meter der Strecke, um die
müden Beine auszuruhen. Und die "Bornes"
am Straßenrand erinnern ständig daran, wie
steil der Anstieg tatsächlich ist... Dabei sind
die Temperaturen noch angenehm, denn die
Route führt durch einen hübschen Wald.
Jetzt heißt es, seine Kräfte einzuteilen!
Foto: Vincent Flachaire
Tausende begeisterte Radsportfans werden dieses Teilstück von Bedoin (über Sainte-Colombe, Les Bruns und Chalet Reynard) bis zum Gipfelkreuz bereits Tage vorab belagern. Längs der Straße und auf den Berghängen beziehen sie Stellung, um die Fahrer auf den letzten Kilometern der Etappe anzufeuern.
Nach 15 Kilometern erreicht der Troß das „Chalet Renard“, in einer Höhe von 1.400 Metern. Danach verändert sich die Landschaft schlagartig:
Foto: Vincent Flachaire
Plötzlich gibt kaum noch Vegetation, eine wahre Mondlandschaft tut sich auf vor den Fahrern. Die „Tour“ beginnt die finale und spektakulärste Phase des Aufstieges zum Gipfel des Ventoux. In engen Serpentinen schlängelt sich die Straße durch Felsen, die von der Sonne ausgebleicht sind. Die Sommerhitze im Glutofen der Provence ist jetzt der größte Feind der Fahrer – und mit ihr der Mistral! Wenn er von Norden weht, fühlt es sich an, als werde das Rennrad rückwärts geschoben.
Foto: www.lemontventoux.net
Das Observatorium auf dem Sommet erscheint in Sichtweite, es wirkt in der klaren Luft zum greifen nahe. Doch bis dorthin müssen noch 6 Kilometer des Aufstieges absolviert werden. Kein Baum, kein Haus – nichts bietet den Fahrern auf diesem Teilstück auch nur die geringste Abwechslung. Sie haben den Gipfel vor Augen, doch er will einfach nicht näher kommen. Die Steigung beträgt auf diesem, sich so elend lang hinziehenden, Rest des Aufstieges 10%.
Foto: Will_Cyclist/ flickr.com
500 Meter vor dem Ziel erreichen die Fahrer den „Col des Tempêtes“ – und müssen nun wirklich alle letzten Kräfte mobilisieren. Nicht umsonst trägt diese Passage ihren Namen. Hier, am „Pass der Stürme“ kann ein fast schon infernalischer Wind toben. Der Mistral erreicht mit Leichtigkeit über 100 km/h; und er bläst den Fahrern direkt ins Gesicht...
Wenig später folgt eine scharfe Rechtskurve, in deren Scheitelpunkt die Straße noch einmal steil ansteigt. Wenn es zwei Fahrer geschafft haben, bis dorthin zusammen zu bleiben und den Schlusssprint ansetzen, sind das sicherlich die spektakulärsten Augenblicke der gesamten Tour.
Solche Bilder befeuern den Mythos des der "Tour" und des Ventoux immer wieder. Seit nun 100 Jahren – als Maurice Garin (damals noch im Jackett) bei der ersten "Tour de France" 1903 im Schlußspurt mit seinen Kontrahenten lag...
Kommentare
Ach Jörgen - wie informativ - hab ich echt gern gelesen... glg suse ;-)
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