Rückblick auf ein wirklich außergewöhnliches Konzert – Benjamin Biolay am 19.04.2013 in Avignon!
Er ist eine der wichtigsten Figuren der französischen Musikszene – und einer ihrer großen Erneuerer. Dabei wird (oder wurde) Benjamin Biolay in Frankreich oft als DAS "enfant terrible" angesehen und war viele Jahre nicht allzu beliebt. Typisch "BoBo" sei er. Einer der Pariser "Bourgeois-Bohemiens", dieser arroganten und versnobten Pseudo-Alternativen. Ein musikalisches Talent zwar, das aber nicht wirklich etwas zustande bringe. Dazu ein Dandy, der sich mit seiner Ehefrau Chiara Mastroianni nur zu gerne auf den Titelbildern der Magazine abbilden ließe.
Dass Biolay eine gewisse Neigung zu schönen Frauen hat, ist nicht abzustreiten...
Früher soll er eine Zeit lang mit Carla Bruni in einer Wohngemeinschaft gelebt haben. Später lernte er dann in Paris die Tochter von Marcello Mastroianni kennen, wenige Monate später heiratete das Paar. Immerhin steckt in seiner Ehefrau Chiara zur Hälfte auch die große Catherine Deneuve, ihre Mutter – und die ist so etwas wie eine französische Nationalheilige. Kein Wunder, dass sich die Regenbogenpresse voller Freude auf dieses Paar stürze.
Die Verbindung mit Chiara Mastroianni war jedenfalls in musikalischer Hinsicht eine fruchtbare (ging daraus doch 2004 das gemeinsam aufgenommene Album „Home“ hervor). Als sich das Paar nach einigen Jahren scheiden ließ, war das öffentliche Interesse daran allerdings wesentlich größer als der musikalische Erfolg.
In Wirklichkeit ist Benjamin Biolay alles andere als nur ein glamouröser Dandy.
Aufgewachsen in Villefranche-sur-Saône, einem der ärmlicheren Vororte von Lyon, machte er sich mit 15 Jahren auf, um Musiker zu werden. Und studierte erst einmal am Konservatorium im Lyon; klassische Musik. Diese Ausbildung (für Tuba und Violine) macht sich in seinem heutigen Schaffen sehr positiv bemerkbar. Dass er weitere Instrumente beherrscht, zeigt sich hier:
Benjamin Biolay, alleine am Klavier, mit "Ton héritage"...
Selbst wenn der eigene Durchbruch erst wenige Jahre zurück liegt, war das Werk von Biolay bis dahin schon sehr beachtlich:
Für das 2000 erschienene Comeback-Album „Chambre avec vue“ des großen Henri Salvador hat er zahlreiche Stücke geschrieben (im Duo mit Karen Ann). Daraufhin komponierte und produzierte Biolay für seine Schwester Carolie Clément gleich drei Alben, die zwischen 2001 und 2008 auf den Markt kamen.
Sein grandioses Debüt-Album „Rose Kennedy“ (2001) war wirtschaftlich zwar nur ein mäßiger Erfolg (Platz 66 der französischen Charts). Er hat sich damit aber wie kaum ein anderer um die Auferstehung des „Nouvelle chanson“ verdient gemacht.
Benjamin Biolay als "Nachfahre von Serge Gainsbourg"
Es ist noch keine fünf Jahre her, dass Benjamin Biolay von vielen Franzosen trotz dieser Arbeiten nur als mißratenes musikalisches Talent angesehen wurde. Viel hat sich seit dieser Zeit geändert. Er gilt jetzt sogar als musikalischer Nachfahre von Serge Gainsbourg – den viele für den Größten überhaupt halten. Was ist passiert?
Seine Zeit der Trennung und späteren Scheidung von Chiara Mastroianni hat Biolay mit „La Superbe“ verabeitet. Dieses Album wurde bei seinem Erscheinen (2009) zum Besten des Jahres gekürt. Seitdem haben sich die Franzosen mit ihm versöhnt, die Konzertsäle sind bei Benjamin Biolays Auftritten bestens gefüllt.
2010 wurde er für "La Superbe" mit dem wichtigsten französischen Musikpreis, den „Victoires de la musique“, ausgezeichnet. Dabei konnte er gleich doppelt abräumen; denn nicht nur das Album belegte in der Kategorie "Chanson" den ersten Platz, auch Biolay selbst: Als bester männlicher Interpret.
Im Frühjahr 2010 drohte ihn seine Vergangenheit noch einmal einzuholen, als ihm eine Affäre mit Carla Bruni angedichtet wurde (der damaligen Ehefrau von Nicolas Sarkozy, dem französischen Präsidenten). Davon blieb allerdings nichts hängen – außer, dass Biolay "ganz nebenbei" auch ihr bis dahin letztes Album produziert hatte. Denn Carla Bruni ist in Frankreich auch selbst eine sehr bekannte Musikerin.
Seitdem ist Biolay bei den „Victoires“ regelmäßig gleich mehrfach nominiert. 2011 mit „Ton héritage“ für das beste eigene Chanson des Jahres – dazu noch in der Rubrik „Le concert de l’année“, für seinen Auftritt im Casino de Paris. 2012 und 2013 war Biolay wiederum als einer der besten männlichen Künstler dabei...
Neben dieser stetigen Qualität ist er unglaublich produktiv und facettenreich (so, wie es auch Serge Gainsbourg war).
Gleich diesem Genie schafft es Benjamin Biolay heute mit Leichtigkeit, das Genre des Chansons hinter sich zu lassen. Nach eigener Angabe interessiert ihn das Chanson auch nicht; er hat in einem Interview sogar einmal gesagt, "es kotze ihn an". Wesentlich näher fühlt er sich der englischen Gruppe "Radiohead". Oder "Daft Punk", einer französischen Band.
Wie auch immer – optisch nähert sich Biolay dem unfreiwilligen Vorbild jedenfalls durch seinen großen Genuss von Rauchwaren an. Und vielleicht noch durch die manchmal etwas wirr erscheinende Haartracht. Er bewegt sich dabei - als weitere Parallele zu Gainsbourg - musikalisch gerne weit außerhalb des Chansons.
Dabei umfasst sein Repertoire alles. Es gibt auf der Bühne sanft vorgetragene Ballden und zart dahin gehauchte Duetts (zuletzt häufig mit Vanessa Paradis...). Statt Gainsbourg und "BB" jetzt also "B.B. und Paradis".
Andere Stücke, wie "Aime mon amour" klingen nach perfektem Poprock. Und seine Bühnenperformence von "À l'origine" grenzt gegen Ende des Auftritts fast schon an "Rammstein" – das Publikum ist dann kaum zu halten! Wie hier, im Casino de Paris:
(Trotz aller Mühen ist bei diesem Video leider nicht auszuschließen, das "Dailymotion" Werbung davor platziert. Diese können Sie aber nach wenigen Sekunden mit einem Klick in das "x" rechts oben ausschalten. Sorry!)
Das Konzert von Benjamin Biolay in Avignon am 19.04.2013
Bei seinem aktuellen Konzert erinnerte mich Biolay nun vor allen Dingen an Nick Cave, als dieser (gemeinsam mit Blixa Bargeld von den "Einstürzenden Neubauten") im Berlin der frühen 80er Jahre "The Bad Seeds" gründete. Deren Konzerte waren KULT. Und daran knüpft Biolay jetzt an. Mit dem wavigen Sound einiger aktueller, der den "Bad Seeds" nicht ganz unähnlich ist. Wie er sich auf der Bühne bewegt (und übrigens auch optisch immer größere Ähnlichkeit mit Nick Cave annimmt). Wie er seine Musik auf der Bühne lebt. Und wie er einen ganz besonderen Kontakt zum Publikum aufnimmt...
Jedoch fehlt die Düsternis, welche der damaligen Musik von Nick Cave anhing. Davon ist bei Biolay wenig zu spüren. Ganz lässig, entspannt und dennoch mit einer unglaublichen Präsenz steht er auf der Bühne. Wenn von ihm (wie jetzt in Avignon) ein eher kleiner Saal mit echter Clubatmosphäre so bespielt wird, ist das wahrscheinlich eines der besten Konzerte, die man sich derzeit ansehen kann.
Dieses Video ist zwar nicht von der besten Qualität und es gibt die Stimmung nur annähernd wieder, aber immerhin – Benjamin Biolay @ Avignon:
Falls sich jetzt (oder in Ihrem Urlaub) die Gelegenheit bietet, sollten Sie sich den Besuch eines Konzertes nicht entgehen lassen. Weitere Termine der Tournee 2013 finden Ende April unter anderem in Brüssel, Luxembourg und Straßburg statt. In der Nähe zu Deutschland würde sich am 10. Mai dann noch sein Auftritt in Mons/ Belgien anbieten.
Und im Sommer, in Südfrankreich:
Am 13.06.2013 (Séte, Théâtre de la Mer). Oder, gemeinsam mit Patty Smith am 22.07., in Carcassonne. Und am 26.07. in Valence (Palais Ideal du Facteur Cheval).
Als krönender Abschluss der Tournée: 09.11.2013, das "L'Olympia" in Paris...
Eine Übersicht der Konzerttermine finden Sie hier auf der offiziellen Webseite von Benjamin Biolay (öffnet in einem neuen Fenster).
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